Sonntag, 18. November 2012

FÜ - Unmöglich

Fingerübung: Unmöglich von Frank Laihn
Beschreibe ein faustgroßes Objekt, was in unserer Realität und den physikalischen Gesetzen unmöglich bestehen könnte. Beschreibe wie es dazu kommt das der Protagonist es trotzdem hat und was es macht. Ob es nun dem Protagonisten etwas nützt oder nicht ist dabei vollkommen irrelevant. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Die Fingerübung soll nur dazu dienen sich mit Situationen auseinander zu setzen die unmöglich erscheinen und um einen Denkanstoß zu geben auch mal etwas komplett neues zu schaffen.
~*~

Cat ließ sich ablenken. Nicht mit Absicht, aber sie war unkonzentriert. Es wurde von Sekunde zu Sekunde dunkler und sie wusste genau, was das bedeutete. Gleich würde er wieder auftauchen. Sie sah nach oben zu der mächtigen Glaskuppel und klappte das Buch auf ihrem Schoß zu. Die letzten Sonnenstrahlen brachen sich noch in der Kuppel, dann waren auch sie verschwunden. Vor ihrem inneren Auge stellte sie sich vor, wie die Sonne hinter den Baumwipfeln verschwand. Ob sie sich je wieder einen schönen Sonnenuntergang ansehen würde?
Sie lehnte sich zurück und schaute weiter nach oben. Sie war schon seit einer ganzen Weile hier und nicht einmal das erste Buch war fertig geworden. Noch nie hatte sie so viel geschrieben. Aber deswegen war sie schließlich hier, oder? Zumindest war es das, was Jadon gesagt hatte.
„Und der Meinung bin ich immer noch.“
Cat zuckte hoch. Da stand er wieder. Diese durchsichtige Gestalt mit langem weißem Haar. Doch dieses Mal hatte sich Jadon einen losen Zopf gebunden. Sogar seine Kleidung sah ordentlicher aus, als die letzten Male, die sie sich gesehen hatten.
„Da bist du ja. Ich hatte schon Sorge, du kommst diese Nacht nicht.“
„Natürlich. Ich habe es doch versprochen.“ Er kam allmählich näher und warf einen Blick auf das Buch, das noch immer auf ihrem Schoß lag. „Wie kommst du voran?“
Cat zuckte mit den Schultern und legte das Buch zusammen mit dem Füller bei Seite. „Noch zwei oder drei Nächte. Dann ist das erste fertig.“ Glücklich klang sie dabei nicht gerade.
„Das ist doch eine gute Nachricht. Was ist los?“ Jadon lehnte sich gegen eines der Regale in ihrer Nähe. Ein komisches Bild, wenn sie bedachte, dass er gar nicht aus fester Materie bestand.
„Ja. Eigentlich schon. Aber es sind noch so viele“, sagte Cat. Stirn runzelnd beobachtete sie ihn. „Kannst du dich tatsächlich anlehnen?“
Jadon sah verwirrt auf seine Schulter und dann lachend wieder zu Cat. Er richtete sich wieder auf.
„Nein“, sagte er. „Nicht wirklich.“ Er griff in Richtung des Regals und nach gewohnter Manier glitt seine Hand durch die Bücher hindurch.
„Oh… gut… Ich dachte schon, jetzt drehe ich vollkommen durch.“
Jadon schüttelte den Kopf. „Darum brauchst du dir keine Gedanken machen. Ich hab es dir doch erklärt. Nichts wird dich von deiner Aufgabe hier ablenken.“
Cat hob die Brauen und atmete tief durch. Da war sie aber anderer Meinung. Jadon war durchaus in der Lage sie abzulenken. Die Konzentrationsprobleme kamen schließlich nicht von alleine.
„Was ist mit dir?“ Nun klang Jadon fast schon besorgt.
„Ach nichts… Mir fällt hier nur langsam die Decke auf den Kopf.“ Sie sah nach oben. „Oder besser gesagt: Die Kuppel.“
„Du könntest etwas Veränderung vertragen, hm?“
„So kann man es auch formulieren, ja.“ Cat schmunzelte und beobachtete den Mann aufmerksam. Jadon war die einzige Abwechslung, die sie hier hatte und sie war froh, dass er jede Nacht wenigstens für einen Moment zu ihr kam.
„Naja. Das hier ist deine Welt. Dein Unterbewusstsein. Du kannst es dir gestalten, wie du möchtest“, sagte Jadon. Er sah sich um und überlegte. „Wie wäre es, wenn du es einfach mal versuchst?“
„Versuchen? Ich weiß doch nicht mal was. Geschweige denn wie.“ Cat musterte die Bücherregale und den Boden, die leeren Bücher und die Kuppel. „Eine Uhr wäre ganz praktisch.“
Jadon nickte. „Schon. Aber Zeit ist hier relativ.“
„Wie meinst du das?“
„Naja.“ Er schritt wieder auf und ab. „Hier vergeht die Zeit anders als bei mir. Anders als in der realen Welt.“
Jetzt war Cat verwirrt. „Aber die Sonne geht hier auch auf und unter.“
„Schon. Aber laut deinem Zeitgefühl komme ich alle 24 Stunde. In meiner Welt alle 12.“
Das war ihr zu hoch, also fragte sie einfach gar nicht weiter. Was sich hier abspielte war ohnehin kompliziert genug und sie wusste nicht, ob sie es überhaupt schon verstanden hatte. Da mussten nicht noch mehr Informationen ihren Kopf durcheinander bringen.
„In Ordnung. Also keine Uhr. Ehm…“
„Lass deiner Fantasie freien lauf. Nimm für den Anfang irgendwas kleines.“
Cat nickte und schloss die Augen. Sie sah den Raum in ihren Gedanken immer noch. Blumen. Sie mochte Blumen. Sie stellte sich eine Rose vor. Eine große dunkelrote Rose. Doch ihre Fantasie spielte ihr einen Streich und die Rose begann sich zu verändern. Die üblichen Blütenblätter veränderten sich. Sie wuchsen in die Länge, wurden transparent und schimmerten in einem Perlmutrot. Sie erinnerten an Feenflügel. Aus ihrem Zentrum kam ein schwaches Leuchten, als säßen kleine Glühwürmchen zwischen den Flügeln.
Sie schmunzelte. Von so einer Blume hatte sie als kleines Kind immer geträumt.
„Das ist ja schön und gut“, sagte sie und öffnete die Augen, „aber…“
Der Atem stockte ihr, als sie vor sich in der Luft schwebend die Feenblüte sah.
„Ach – du – Schande.“
Jadon lachte und nickte. „Du hast den Dreh schnell raus, muss ich sagen. Und dann auch noch sowas – extravagantes.“
Cat streckte die Fingerspitzen aus und berührte die Blume. Sie bewegte sich leicht, wie eine Qualle im Meer. Genau so hatte Cat sich diese Blume immer vorgestellt. Damals hatte sie sich gerne Feengeschichten ausgedacht und diese Blume hatte sie häufig gemalt.
„Das ist ja unglaublich“, flüsterte sie. Ganz vorsichtig berührte sie die Blume wieder und sie schwebte weiter. Wie der Samen seiner Pusteblume. Cat bückte sich etwas und pustete vorsichtig von unten gegen die Blüte. Sie stieg weiter empor und segelte entspannt durch den Raum.
„Hier ist gar nichts unglaublich, Caitlyn.“
Sie lachte leise und nickte. „Scheint so. Okay… Noch mal.“
Sie richtete sich auf und stellte sich in die Mitte der Bibliothek. Wieder schloss sie die Augen, legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch.
Ganz genau malte sie sich aus, was sie sehen wollte, wenn sie sie Augen wieder aufschlug. Alles andere verschwand aus ihrem Kopf. Es gab nur noch die Feenblüten aus ihrer Kindheit.
Als Caitlyn die Augen wieder öffnete, kam sie aus dem staunen nicht wieder heraus. Die dunkle Halle war erfüllt von hunderten der fliegenden Blüten. Sie schwebten überall, von der Kuppel bis zum Boden, trieben sie umher und spendeten ihr glimmendes Licht.
„Das“, sagte Jadon nachdrücklich, „ist unglaublich.“
Sie sah ihn an und grinste schief. Das Licht der Blüten ließ seine Erscheinung klarer und weniger durchsichtig wirken. „Danke…“
Sie sah sich um und ging ein paar Schritte. Die Blüten wichen zurück und machten ihr den weg frei.
„Genau so habe ich sie mir früher immer vorgestellt“, sagte sie. „Ich habe mir immer mit meiner Mutter Geschichten ausgedacht. Über Feen und Einhörner. Und diese Blüten kamen immer in den Geschichten vor.“
„Sie sind wunderschön“, sagte Jadon. Doch er sah die Blüten schon gar nicht mehr an. Er behielt nur Cat im Auge.

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